Gegen das Vergessen - Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht

Gegen das Vergessen

Gegen das Vergessen - Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht

Am 9. November 2018 jährten sich die schrecklichen Ereignisse der Reichspogromnacht bereits zum 80. Mal. Auch in unserer Heimatstadt Lippstadt ging die Synagoge in Flammen auf, wurden jüdische Geschäfte demoliert und jüdische Mitbürger verfolgt und misshandelt. Um die schrecklichen Geschehnisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und den Opfern zu gedenken, organisiert die Stadt Lippstadt alljährlich eine Gedenkveranstaltung im Rathaussaal, die von Schülerinnen und Schülern der Lippstädter Gymnasien gestaltet wird. Auch in diesem Jahr setzten die Jugendlichen auf vielfältige Art und Weise ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sowie für Toleranz und Offenheit. Neben musikalischen und szenischen Beiträgen äußerten sich die Schülerinnen und Schüler in selbst geschriebenen Dialogen, Gedichten und Reflexionen eindrucksvoll und gaben der Veranstaltung einen würdigen Rahmen. Darüber hinaus befand sich im Rathaus eine kleine Ausstellung, bei der Gedanken zum Thema künstlerisch umgesetzt wurden. Ihren Abschluss fand die Gedenkfeier am Jüdischen Erinnerungszeichen in der Rathausstraße, bei dem die Namen der Lippstädter Opfer verlesen und Kerzen entzündet wurden.

Die Marienschule wurde durch Schülerinnen und Schüler der Jgst. Q2 vertreten, die sich im Vorfeld mit dem Thema „Antisemitismus“ im Unterricht der Geschichte Zusatzkurse auseinandergesetzt haben. Um auch die Schulgemeinde auf diese Thematik aufmerksam zu machen und Gelegenheit zur Erinnerung zu geben, wurde im Schulgebäude ein kleiner Gedenkort errichtet.

 

Folgende Texte haben Schülerinnen vorgetragen:

Déjà-vu

Mein Name ist Benjamin. Aber so darf ich mich nicht mehr nennen. Laut Gesetz heiße ich Israel.

Ich bin Ahmed. Doch wenn ich durch die Stadt gehe, nennt mich fast niemand so. Dort heiße ich „Kanacke“, „Hurensohn“ und „Parasit“.

Ich lebe in Berlin des Jahres 1939.

Ich lebe in Dresden, 2018.

Meine Familie lebt seit Generationen hier. Und auch jetzt, wo Krieg herrscht, bleiben wir.

Vor zwei Jahren musste ich aus Syrien fliehen, da dort Bürgerkrieg herrscht. Meine Familie musste ich zurücklassen.

Noch vor wenigen Jahren war ich einfach nur deutscher Staatsbürger. Ich ging zur Schule und hatte einen deutschen Freundeskreis. Sogar eine Freundin.

In Syrien hatte ich viele Freunde und ging zur Schule.

Aber seit am 30.01.1933 Adolf Hitler Reichskanzler geworden ist, ist alles anders geworden.

Doch seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 ist dort nichts mehr, wie es vorher war.

Ich bin jetzt kein Deutscher mehr. Ich bin Jude. Nur Jude.

In Deutschland habe ich versucht, möglichst schnell die deutsche Sprache zu lernen und mich in die Gesellschaft zu integrieren. Doch diese Gesellschaft möchte mich nicht. Hier bin ich nur ein Ausländer.

Wenn ich auf die Straße gehe, muss ich einen Stern tragen, damit jeder sieht, dass ich anders bin, dass ich nicht dazu gehöre.

Wenn ich durch die Straßen gehe, sieht jeder direkt, dass ich anders aussehe, dass ich anders bin, dass ich nicht dazugehöre.

Und das bekomme ich zu spüren. Ich werde beleidigt, bespuckt, bedroht.

Ich höre Sätze wie „Ich bin froh, wenn ihr alle endlich in Auschwitz verreckt.“

Einmal hat mich ein etwa elfjähriger Junge gefragt, ob ich Auschwitz kenne. Als ich bejahte, sagte er nur: „Du wirst dort enden.“

Und so etwas beschränkt sich nicht nur auf einige wenige. Junge, Alte, Akademiker und Arbeiter – alle machen mit.

Sobald irgendetwas im Staat schiefläuft, sind wir als Juden dafür verantwortlich. Ich bin immer die Täter.

Wenn es Schlagzeilen über IS-Terroristen gibt, werden wir Flüchtlinge dafür verantwortlich gemacht. Ich bin immer der Täter.

Das Schlimmste ist, dass die Regierung das Ganze nicht nur zulässt, sondern sogar fördert und unterstützt. Es gibt genau ausgearbeitete Programme zur Aufhetzung gegen uns, zu unserer Verfolgung und sogar Tötung.

Das Schlimmste ist, dass die Regierung das alles scheinbar akzeptiert. Manche Politiker schwingen zwar große Reden, und doch ändert sich nichts. Manche Parteien unterstützen das Ganze sogar. Es gibt regelmäßige Aufmärsche gegen uns Flüchtlinge, hetzende Parolen und tätliche Übergriffe.

Die Bevölkerung wird vor uns gewarnt.

Meine Familie hat nichts mehr. Unser kleiner Laden, der uns unsere Lebensgrundlage geliefert hat, wurde zerstört, wir leben jeden Tag woanders. Wir kommen bei Freunden und Verwandten unter, bleiben aber nie länger als einen Tag, um sie zu schützen. Jeder hat Angst, der Nächste zu sein, bei dem es sturmklingelt, der in einen Zug verschwindet und nie wiederkommt.

Ich besitze nichts mehr. Ich musste alles in Syrien zurücklassen. Mein kleines Zimmer im Wohnheim muss ich mir mit vielen anderen teilen. Jeder hat Angst, dass er der Nächste ist, der abgeschoben wird, der zurück in den Krieg muss.

Meine größte Angst ist, dass ich von meiner Familie getrennt werde, dass einer von uns abgeholt wird oder den Krieg nicht überlebt. Ich habe sogar Angst davor, dass auf der Straße einfach jemand auf uns schießt.

Meine größte Angst ist, dass meiner Familie in Syrien etwas passiert. Sie wollten bald nachkommen. Schlimm wäre es auch, wenn ich zurück muss in den Krieg. Und doch traue ich mich hier kaum noch auf die Straße, weil mir so viel Hass entgegengebracht wird.

Werden meine Kinder in einem toleranten Deutschland aufwachsen können? Wann wird Deutschland endlich tolerant?

 

 

Poetry Slam – Antisemitismus

Ich gehe jeden Tag durch diese Stadt

Ich gehe jeden Tag durch diese Straßen

Gehe zur Schule, einkaufen, in Cafés

Und manchmal kommt mir der Gedanke

Was hier vor mir vor Menschen saßen

Also nicht nur so vor 5 Minuten,

sondern vor 80 Jahren.

Ich frage mich, was das damals für Menschen waren.

Lippstadt!

Hier fühl´ ich mich sicher

Hier ist mein Zuhaus´

Das dachten sich die Menschen vor 80 Jahren bestimmt auch

Doch was dann geschah

Jeder weiß es irgendwie

Doch wirklich ausgesprochen wird es nie

Auch hier in dieser Stadt

Ein Ort, der für mich so sicher scheint

Zog der Antisemitismus ein.

Geschäfte geplündert, demoliert

Die Synagoge abgebrannt

18 Juden deportiert

All das ist hier vor 80 Jahren passiert!

                Ich weiß nicht, was ich sagen soll

                Nichts ist so wirklich angebracht

                Weil alles was ich sage,

                doch nichts ändert oder besser macht.

                Denken muss ich trotzdem dran

                Das ist doch auch richtig so

                Damit sich nicht irgendwann

                Dieser Schrecken wiederholt!

Und heute gehe ich durch diese Straßen

Sehe nichts mehr von dem, was damals war

80 Jahre?

Das scheint so fern, doch ist so nah

Eingeholt von der Vergangenheit

Bin ich erschrocken über jede Einzelheit

Diese Menschen

Verfolgt, verachtet und vertrieben

Doch die Erinnerungen an sie, die sind geblieben.

Aber so viele Fragen bleiben noch offen

Warum waren gerade diese Menschen betroffen?

Wieso haben die anderen nichts dagegen getan?

Wieso? Weshalb? Und Warum?

Ich weiß nicht, ob mir irgendjemand Antworten auf diese Fragen geben kann

Doch vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig

Sondern viel mehr, dass wir uns erinnern, dass wir an die Menschen von damals denken

Und dem dass viel mehr Aufmerksamkeit als dem wieso schenken.

 

Auch wenn es kein Wort gibt

Das den Schrecken von damals beschreibt

Sind wir nicht die Menschen aus der Vergangenheit

Wir können uns nicht die Schuld geben, für das was damals war

Sondern müssen für all das kämpfen, was danach kam

Toleranz, Gerechtigkeit und Demokratie

Und nie

Nie wieder Antisemitismus, Rassendenken, Nationalsozialismus

Hass sollte kein Teil dieser Stadt sein

Und dafür stehen wir hier und heute ein!

Gegen das Vergessen





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