Grenzgeschichten – berührende Schicksale

Grenzgeschichten – berührende Schicksale

„Was bedeutet Asyl?“ Mit dieser und weiteren Fragen begann der Projekttag „Grenzgeschichten – Persönliche Berichte der Flucht“ für die Klassen der zehnten Jahrgangsstufe der Marienschule. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jannes Umlauf und Patric Dujardin vom Verein „Die Multivision e.V.“, der sich für Jugend- und Erwachsenenbildung einsetzt.

Nach einer interaktiven Einführung in das Thema Flucht bekamen die Schülerinnen und Schüler die Chance, einen ehemaligen Häftling der DDR kennenzulernen und seine persönliche Geschichte zu hören. Mario Röllig von der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen erzählte eindrucksvoll von seiner Regime-geprägten Kindheit, einem gescheiterten Fluchtversuch und der daraus folgenden Verhaftung sowie von seiner Befreiung und dem Leben danach. Dabei erfuhren die Zehntklässler viel über das berührende Leben hinter den Mauern und das Gefühl, nicht frei zu sein.

Dem persönlichen Zeitzeugenbericht folgte eine Podiumsdiskussion mit fünf Gästen. Unter ihnen befanden sich Geflüchtete und Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, ihnen zu helfen. Sowohl sie als auch die Schülerinnen und Schüler hatten im Rahmen der Podiumsdiskussion Raum, ihre Erfahrungen und Fragen zu teilen und etwas Neues voneinander zu lernen.

Saidah Amin ist 23 Jahre alt und aus Afghanistan geflüchtet. „Deutschland ist Freiheit. Man kann frei sprechen; machen, was man will; sein, wie man will. In Deutschland ist man frei.“ Emotional sichtlich ergriffen erklärt die junge Frau den Schülerinnen und Schülern, dass Frauen in ihrer Heimat nicht frei sind und Bildung viel Geld kostet. Wenn eine Familie dieses Geld nicht aufbringen kann, können die Kinder nicht zur Schule gehen. In Lippstadt geht Saidah Amin inzwischen zum Hanse-Kolleg und lernt ehrgeizig für ihren Schulabschluss. Gewöhnungsbedürftig waren für Amin neben der deutschen Sprache zunächst das deutsche Essen und die fremde Religion. Wegen ihres Kopftuchs erlebte sowohl Amin als auch ihre jüngere Schwester in Deutschland bereits Diskriminierung. Daher richtet die junge Frau den Appell an die Schülerinnen und Schüler, jeden Menschen so zu nehmen, wie er ist und nicht alle geflüchteten Menschen oder Menschen mit einer anderen Religion in eine Schublade zu stecken.

Rojdar Haji lebt seit acht Jahren in Deutschland und ist inzwischen deutscher Staatsbürger. Der Weg zur Staatsbürgerschaft war jedoch lang und schwer. Über seine Flucht aus Syrien möchte Rojdar Haji nicht sprechen. Er erklärt nur leise, er habe sechs Tage mit 165 Menschen in einem Boot verbracht. Bis seine Familie in Deutschland vereint war, dauerte es fünf Jahre. Die deutsche Sprache lernte der junge Mann vor allem bei der Arbeit – in der Gastronomie und als Frisör. Haji macht deutlich, dass er und andere Geflüchtete nicht wegen ihrer Sprachfehler ausgelacht werden möchten. Sie möchten bleiben und die Sprache weiter lernen. Zurück in seine Heimat möchte Haji nie wieder.

Mohammad Abo Salwa flüchtete vor sechs Jahren aus Syrien und arbeitete lange als Pizzafahrer. Sein eigentlicher Traum ist es aber, eine Ausbildung zum Busfahrer zu machen. Ihm und anderen geflüchteten Menschen helfen Michael Tack vom Lippstädter Netzwerk für Frieden und Solidarität e.V. und Katerina Cirivello vom Jugendmigrationsdienst der AWO. Beide berichten von verzweifelten Familien, der nervenaufreibenden Bürokratie und der Angst der Menschen abgeschoben zu werden. Michael Tack und Katerina Cirivello fordern die Zuhörenden auf, Begegnungen mit geflüchteten Menschen zuzulassen und sich offen zu positionieren. Dazu gehört für Mario Röllig der Mut, laut zu sein und unbequeme Fragen zu stellen.

Für die Schülerinnen und Schüler hinterlässt der Projekttag einen nachhaltigen Eindruck und trägt dazu bei, den eigenen Blick auf geflüchtete Menschen und politische Debatten zu weiten.

Ann-Christin Hinse und Anna Lena Südhoff (Klasse 10C)






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