Mit dem Herzen sehen – Mein Besuch auf den Philippinen

Besuch auf den Philippinen

Mit dem Herzen sehen – Mein Besuch auf den Philippinen

Es ist sechs Uhr morgens und die „Vogel-Klingel“ zwitschert: Das bedeutet Frühstückszeit für die Mädels. Wir befinden uns in Quezon City, einem Teil der Metro Manila, Hauptstadt der Philippinen im Margaretha Home for the Blind (Margaretha-Heim für Blinde, kurz MHB). 
Seit 1997 geben die Schwestern der Christlichen Liebe (Sisters of Christian Charity/SCC) blinden Mädchen hier die Möglichkeit in einer sicheren Gemeinschaft zu leben und zu lernen. 

Magandang araw (Guten Tag), ich bin Kirsten und ehemalige Schülerin der Marienschule.
Nach einer Work&Travel Reise durch Australien nahm ich den Flieger über Hongkong auf die Philippinen.
Wie viele von euch, kannte ich das Margaretha-Heim für Blinde aus der Unterstufe. Meine Klasse unter der Klassenleitung von Frau Rosenkranz sammelte mehrfach fleißig Geld für unser Patenkind auf den Philippinen, doch ich wusste nie genau, wie und was eigentlich mit unseren Spenden erreicht wurde. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie das alltägliche Leben der blinden Mädchen in Manila aussehen würde. Mein Interesse war geweckt, und ich kontaktierte Schwester Maria Regina. Daraufhin lud mich ihre Mitschwester Sr. Theresia ganz herzlich ein, sie und die MHB-Familie in Manila zu besuchen. Ich hatte das Glück im September 2018 für drei Wochen ein Teil diese Gruppe von lebensfrohen Menschen zu werden und viele neue Erfahrungen zu sammeln.

Heute nehme ich Euch mit in das ca. 10.000 km entfernte Manila um Euch vom Leben und dem Alltag im Margaretha-Heim zu erzählen. Wir beginnen einfach ganz von vorne:


An die Ankunft im Margaretha-Heim an einem Freitagabend kann ich mich noch ganz besonders erinnern: Nach einem langen Tag mit Inlandsflug und weiteren vier Stunden Transport durch die chaotische Metro Manila kam ich völlig fertig und durchgeschwitzt, mit meinem Backpack auf dem Rücken, in der Calderon Street an. Man öffnete mir die Tür, ich legte meine Tasche ab und setzte mich zusammen mit ein paar Mädchen an einen Tisch. Nach und nach wurde die Runde immer größer, da jede/r hörte, dass ein neuer Gast angekommen war. Im Laufe des Gesprächs fragte mich eines der Mädchen, wie lange ich bleiben würde. Ich antwortete: „Auf jeden Fall für heute Nacht.“ Es brach ein kleines Getöse aus. Sie freuten sich so sehr. Als ich dann sagte, dass ich wahrscheinlich noch ein paar Tage länger bleiben würde, wurde geklatscht und gejubelt. Die Mädchen bereiteten mir damit den schönsten Empfang, den ich jemals erlebt hatte. Jeder wird hier sehr herzlich empfangen und sofort in die Gemeinschaft der Familie aufgenommen – ein tolles Gefühl!


Der Leitgedanke der Schwestern der Christlichen Liebe

Um jedem Mitglied im Margaretha-Heim ein schönes Gefühl des Zusammenlebens zu vermitteln, wird die Gemeinschaft liebevoll „die MHB-Familie“ genannt. Das ist für die Schwestern der Christlichen Liebe sehr wichtig, da die blinden Mädchen aus verschiedensten Gründen nicht mehr bei ihrer eigenen Familie leben.
Es kann sein, dass den Familien nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen, um eine spezielle Bildung oder sogar Dinge des täglichen Lebens für ihre Töchter zu finanzieren. Andere Eltern wissen vielleicht nicht mit einem blinden oder auch gleichzeitig behinderten Kind umzugehen, sodass es diesen Mädchen manchmal an Zuneigung fehlt. Wieder andere kommen aus sehr „gesunden“ Familien und freuen sich einfach über die Unterstützung der Schwestern. Diese Hilfe ist äußerst wichtig in einem Land, wo ein sehr niedriger Lebensstandard herrscht und Bildung einen anderen Stellenwert besitzt.
Das MHB-Projekt wird nur durch Spenden aus der ganzen Welt und der großen Leidenschaft der Schwestern und Angestellten aufrechterhalten. Auch Eure Unterstützung gehört dazu und ist eine sehr große Hilfe.


Wer ist das eigentlich? 

Die Schwestern, das sind: Schwester Theresia aus Deutschland, Schwester Maria Dolores von den Philippinen und Schwester Adriana aus Uruguay. 
Zu der MHB-Familie gehören auch die Hausmütter Ate Beth, Ate Nora, Ate Pia und Ate Blanka. Ate bedeutet in der philippinischen Sprache Tagalog, im übertragenen Sinne: große Schwester. 
Die Hausmütter sind philippinische Frauen, die sich vor allem um Essen, Haushalt und das generelle Wohlbefinden der Mädchen kümmern. Außerdem helfen sie im Learning Center (Lernzentrum, dazu später mehr). Nicht zu vergessen sind die Sozialarbeiterin Ate Lanette und die beiden Hausmeister Kuya Romy und Kuya Joel (Kuya: großer Bruder). Die Hausmeister kümmern sich um alle Arten von Reparaturen in den Einrichtungen, aber auch um den Transport zur Schule, zum Doktor oder einfach nur zum Supermarkt.

Und natürlich: die MÄDCHEN!
Das Herz der Familie sind momentan Sunshine, Trisha, Lyn, Abi, Mery Ann, Sherry Ann, Pauline, Rowena, Joan, Sharon, Lynette und Daisy. Karen besucht die Senior High School in einer anderen Provinz, gehört aber zum Margaretha Heim.
Für einige von euch scheint das jetzt nach ein paar komischen philippinischen Mädchennamen zu klingen, aber für jeden, der diese Gruppe von jungen Mädchen kennt, sind es zauberhafte Menschen.
Diese Mädchen meistern jeden Morgen aufs Neue ihren Alltag, der für sie immer wieder unerwartete Hürden bereithält.
Jede von ihnen ist anders und besonders und somit ergänzen sich alle wie ein Puzzle zu einem einzigartigen Bild. Das Herz der MHB-Familie.


Ein fast normales Schulleben

Unter der Woche ist Schule oder Arbeit angesagt. Der Tagesablauf ist sehr durchdacht und strukturiert, damit die Mädchen eine Orientierung haben. 
Vier Mädchen besuchen die nahegelegene reguläre Schule, die extra auf blinde Schüler spezialisiert ist. Kuya Joel bringt sie jeden Morgen mit dem MHB-Mobil zur Schule und holt sie am Nachmittag wieder ab. Einen Schulbus, wie in Lippstadt, gibt es in Manila nicht. Als öffentliches Verkehrsmittel dienen die engen und bunten Jeepneys.
Lynette ist als einzige der Mädchen in einem bekannten Hotel in Quezon City angestellt und fährt jeden Morgen selbstständig mit den verbreiteten Jeepneys zur Arbeit. Sehr erstaunlich für ein Mädchen, das fast komplett erblindet ist!
Der größte Teil der Mädchen bleibt im Margaretha-Heim, um mit Schwester Theresia im Learning Center (Lernzentrum) und in den Workshops am Nachmittag eine individuelle Förderung zu bekommen. Das Lernzentrum ist genau auf die Bedürfnisse der einzelnen Mädchen abgestimmt. Beispiele für Unterrichtsinhalte sind: Lesen der Blindenschrift Braille, Puzzeln und Wäsche falten, aber auch Gymnastik oder Geschichten erzählen steht auf dem Stundenplan.

Die Zeiten für das Lernzentrum, die Mahlzeiten, aber auch die Gebete sind klar festgelegt und werden für alle mit der Vogelklingel angeläutet. Natürlich dauern manche Dinge gelegentlich länger, aber es hat mich sehr überrascht, wie jedes einzelne Mädchen eine gewisse Sicherheit und Selbstständigkeit mit der Zeit entwickelt. Die Wäsche wäscht jedes Mädchen eigenhändig. Der Tisch wird zu jeder Mahlzeit von einem anderen Mädchen gedeckt, während das Spülen und Abtrocknen nach dem Essen eine Gemeinschaftsaufgabe ist.
Kleinigkeiten, die das tägliche Leben vereinfachen, lernen die Mädchen hier im Margaretha-Heim: Zum Beispiel das Wassereinschütten. Mit der einen Hand wird das Wasser aus der Flasche in den Becher geschüttet. Mit der Anderen wird er festgehalten, wobei ein Finger in den Becher ragt, um zu fühlen, wie hoch das Wasser schon steht. 
Die Schwestern und Mädchen haben sich etliche Tricks ausgedacht, um das tägliche Leben zu erleichtern.

Einer der wichtigsten Teile des Tagesablaufes ist das Gebet. 
Sowohl zu den Mahlzeiten als auch am Abend vor dem Zubettgehen wird gebetet. Das Rosenkranz Gebet beherrschen die meisten von ihnen auswendig, auch wenn es nicht in ihrer Muttersprache Tagalog, sondern in Englisch gebetet wird. Jeden Samstagnachmittag findet dann die heilige Messe in der hauseigenen Kapelle statt. Dazu sind Freunde und Interessierte immer herzlich eingeladen. Viele internationale Priester, die sich gerade in Manila aufhalten, kommen hierher, um mit den Mädchen die heilige Messe zu feiern. Selbstverständlich werden dann alle Lieder mit dem Klavier und vielen anderen Instrumenten begleitet, und es wird kräftig mitgesungen.
Die Begeisterung und der Spaß an Musik ist den Mädchen immer sehr anzusehen und natürlich auch anzuhören. Wie sollte es auch anders sein bei Menschen, die sich vorrangig auf ihren Gehörsinn fokussieren müssen. Den ganzen Tag lang wird gesungen und am Nachmittag ist gelegentlich ein Instrument zu hören. Zwei Mädchen, Trisha und Lyn, lernen derzeit sogar das Klavierspiel.
An ganz besonderen Tagen wird Karaoke gesungen oder es werden Konzertaufnahmen von bekannten Popsängern gelauscht. Da wird es keinem langweilig!


Die Zeit mit den Mädels und der ganzen MHB-Familie auf den Philippinen hat mir die Augen geöffnet. Es geht einfach nur um die kleinen Dinge im Leben und darum, den Spaß am Alltag zu bewahren, denn das ist es, was wir Tag ein Tag aus erleben.
Die blinden Mädchen haben mich mit ihrer Lebensfreude angesteckt und ich hoffe ich konnte ihnen auch ein bisschen dafür oder davon zurückgeben. Dieses Projekt der Schwestern der Christlichen Liebe hat schon mehr als ein paar blinden Mädchen ein besseres Leben bereitet und wird das hoffentlich auch in Zukunft weiter tun!


Vielen Dank für diese tolle Erfahrung.
Kirsten Venker-Metarp

(Abi 2017)

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